Mein Leben als Vater, Adoptivvater und Pflegeopa
Kürzlich ist sie ausgezogen, unsere indische Adoptivtochter. Vor 22 Jahren haben wir sie als zweites Kind adoptiert, wie ihren Bruder zwei Jahre davor. So wie unsere beiden biologischen Kinder leben die vier Geschwister nun ihr eigenes Leben. Sie haben viel miteinander erlebt und auch problematischere Zeiten durchgemacht.
“Gelassenheit & Zuversicht als Erfolgsrezept.”
Trotz möglicher Verunsicherung in Beziehung bleiben
Als Eltern sind wir unendlich dankbar für die Art, wie sie zueinander stehen und sich gegenseitig unterstützen. Trotz ihrer unterschiedlichen Startbedingungen. Wir kennen auch Beispiele, bei denen es nicht so gut gelaufen ist. Bei denen die existentiellen Fragen des Lebens nach den eigenen Wurzeln und der Identität so tiefe Verunsicherung ausgelöst haben, so schwierige Situationen hervorgerufen haben, dass die Eltern nicht damit umgehen konnten und fassungslos und enttäuscht dastanden – sich sogar aus der Elternschaft zurückgezogen haben.
Und das ist wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe für alle Eltern, aber besonders für Adoptiveltern: trotz allem in Beziehung zu bleiben und die Bindung nicht aufzugeben. Alles dafür zu tun, dass es nicht zum Bruch kommt. Damit ist nicht gemeint, alles zu akzeptieren, sondern mit den Worten von Haim Omer „wachsame Sorge“ zu tragen und immer wieder zu bekräftigen, dass es das Verhalten ist und nicht der Mensch, den man ablehnt.
Die Phase der frühen Kindheit bewusst stärker wahrnehmen
Die Entscheidung zur Adoption hat unser Leben stark beeinflusst. Die Auseinandersetzung mit der Thematik hat über die Jahre Auswirkungen auf meine berufliche Tätigkeit gehabt. Als Arzt ist mir die immense Bedeutung der frühen Kindheit als vermutlich wichtigste Phase des Lebens viel stärker bewusst geworden. Wie wichtig es ist, dass Familien soweit abgesichert sind, dass die Sorge ums Überleben die Fähigkeit zur guten Elternschaft nicht einschränkt, wie aktuell bei den vielen notreisenden Familien.
Aber auch ohne Flucht und Krieg sind Kinder manchmal großen Belastungen ausgesetzt, oftmals in der Biographie ihrer Eltern begründet. Deren Eltern hatten damals keine Möglichkeit der Unterstützung, so wie es heute unter dem Begriff der Frühen Hilfen zunehmend möglich ist.
Gelassenheit und Zuversicht als Erfolgsrezept
Dass wir jetzt einem Pflegekind ein Heim und stabile Beziehungen bieten können, hat seine Wurzeln in der Erfahrung mit unseren eigenen Kindern, die uns eine weitere Welt eröffnet haben. Dass wir ihnen mit dieser neuen Situation etwas zumuten, sie es aber ebenso zulassen wie die junge Mutter des Pflegekindes, ist für uns nicht selbstverständlich, sondern ein großes Geschenk.
Ich frage mich oft, wie wir, und vor allem meine Frau, das als junge Eltern alles geschafft haben. Ich staune, welche „Vergünstigungen“ sich unser Pflegeenkelkind erobert hat, die unseren Kindern verwehrt waren. Meine Gelassenheit und Zuversicht, dass es schon gut werden wird, hat zugenommen und hat sich hoffentlich auch auf meine Beratungstätigkeit für junge Eltern ausgewirkt. Jedenfalls kann ich wieder mitreden bei schlaflosen Nächten, Wutanfällen und Essensverweigerungen – eine Chance, die ich sonst wohl nie gehabt hätte.
Harald, Adoptivvater und Pflegeopa