Die kleine M. (3 Jahre) ist ein Ausbund an Empathie. Sie fühlt mit, was immer sie sieht.
Entdeckt sie in der Zeitung ein Foto eines verletzten Kindes, fragt sie nach: Was fehlt ihm – wie geht es ihm denn? Auch noch Wochen später erkundigt sie sich mit höchst besorgter Miene nach dem Befinden: Fühlt sich das Kind schon besser – ist das Kind wieder gesund? Die kleine M. vergisst nicht. Wenn sie könnte, sie würde Blumen schicken.
Bemerkt sie bei einem Familienmitglied ein Pflaster, erwacht die Krankenschwester in ihr. Sie sorgt sich, sie tröstet, sie pflegt. Kein Wehwehchen in ihrer Umgebung bleibt unentdeckt. Wer sich nicht wohl fühlt, bekommt ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie analysiert die Ursachen (gründliches Beobachten und Abtasten) und bekämpft die Symptome (bringt Pflaster und Hustenzuckerl).
Auch die anderen Bewohner ihres Kinderzimmers kommen in den Genuss von Doktor M.’s Fürsorge: Egal ob Plüsch oder Plastik, wer krank wird, muss das Bett hüten. Seit Kurzem liegen Baby Annabell, vier Teddys und ein Pinguin auf der improvisierten Krankenstation im Wohnzimmer. Sie sind schon auf dem Weg der Besserung, hat mir die kleine M. versichert: „Ka Angscht!“ M. selbst benötigt nur in Ausnahmefällen medizinische Zuwendung. Sie wird nur selten krank und wenn dann auch nur ganz kurz und ohne Klagen. Ihr Mitgefühl macht sie wohl immun. Außer gegen kleine Kratzer. Da muss erste Hilfe geleistet werden – und zwar sofort.
Seit wir einen kleine Reserve an Pflastern aus dem Hause Disney, bedruckt mit Motiven von M.’s Lieblingsfilm „Frozen“, angeschafft haben, hat sich der Verbrauch exponentiell gesteigert. Jetzt verlangt jede noch so kleine Wunde alle drei Minuten ein neues Pflaster. Die kleine M. ist auf jedes einzelne Pflaster/Motiv stolz. „Mir goht’s scho wiedr bessr“, erklärt sie tapfer. Kurz bevor sie das nächste Pflaster bestellt.
Selbst zum Zahnarzt geht die kleine M. gern. Schon Monate vor ihrem ersten Besuch hat sie sich darauf fast unbändig gefreut. Morgens und abends putzte sie die Zähne ehrgeizig selbst, studierte in Kinderbüchern die Erfahrungen ihrer Lieblingsfiguren und fragte allwöchentlich, wann wir denn endlich zum Zahnarzt gingen. Kürzlich war es dann soweit: Noch im Auto lachte sie und mutmaßte, wie sich denn der Drehstuhl beim Doktor anfühlt. Keine Spur von Angst, kein Zögern.
Nach der Begrüßung in der Ordination war jedoch eisernes Schweigen angesagt: Die Hände streng vor dem Mund konnten sie weder Zureden mit Engelszungen noch die großzügigsten Bestechungsversuche dazu bewegen, den Mund für den Herrn Doktor zu öffnen. Wir spielten mit Gebiss-Modellen, ließen sie auf dem Stuhl ihre Runden drehen – vergeblich. Kein Malheur, der nächste Termin wurde gleich vereinbart.
Kaum waren wir aus der Tür und auf dem Weg nach Hause, lachte mich die kleine M. zuckersüß und strahlend wie die die Sonne an: „Gommr bald wiedr zum Zahnarzt?“
Foto: Mathias Bertsch
Blog-Autor
Mathias Bertsch