Vor nun schon fast fünf Jahren kam der Anruf: In ca. 14 Tagen kommt ein Kind auf die Welt und wir suchen eine Pflegefamilie für eine dauerhafte Pflege. Könnt ihr euch vorstellen, ein Baby bei euch zu haben? … 14 Tage kollektive Schwangerschaft! 14 Tage, in denen meine Frau und ich uns vorstellen, ein Baby bei uns zu haben. Dann, im Krankenhaus, das kleine Päckchen zum ersten Mal in den Armen, voller Respekt vor seiner Bauchmama. Da waren wir nun also Eltern, da war ich nun auf einmal ein Papa. Direkt nach einem Pflegefamilie-Vorbereitungskurs erfüllte man unseren gemeinsamen Traum. So unwirklich und doch füllte ich die Papa-Rolle von Beginn an mit einer Selbstverständlichkeit, mehr vom Bauch, als vom Kopf. Wie ist es mit einem Pflegekind? Im Kern so, wie mit jedem Kind, unglaublich erfüllend, unglaublich anstrengend und jeder Moment kostbar! In Nicos wie auch in unserem Leben gibt es auch eine Bauchmama, die ihn auf die Welt gebracht hat und immer ein Teil von ihm sein wird. Zum Pflegeelternsein gehören auch Besuchskontakte. Wir treffen uns dann in einem Kindergarten, in einer für Nico bekannten und schönen Umgebung, in der auch seine Bauchmama eine Beziehung zu ihm aufbauen kann.
Die Besuche werden begleitet vom Pflegekinderdienst, der uns auch sonst bei allen Themen zur Seite steht. Wie ist es mit einem Pflegekind? Vielleicht haben wir als Pflegeeltern eine erhöhte Sensibilität in Bezug auf das unsichtbare Band zwischen uns und versuchen. Nico sehr bewusst Halt zu geben. Uns ist es wichtig, dass er weiß, dass er gut ist, richtig, genauso wie er ist und dass er zu uns gehört, unabhängig davon, wie sein Leben verläuft. Unser Nico ist ein aufgeweckter, liebevoller, manchmal auch wilder vier Jahre und neun Monate alter Bub (in diesem Alter zählt noch jeder Monat). Er hat einen starken Willen, ist aber ein sehr sensibles Kind und seiner Umgebung gegenüber offen und interessiert. Mein Sohn ist mir ein großes Vorbild, er zeigt mir, wie es ist, vollkommen authentisch im Moment und ganz Mensch zu sein. Nico macht mich lustiger und auch schlauer. Durch ihn hat sich zum Beispiel mein spezifisches Wissen verbessert: Ich kenne inzwischen knapp fünfzig Dinosauriernamen und sämtliche Spidey-Superschurken. Vor kurzem habe ich Nico die Bedeutung des Worts „Kompromiss“ erklärt, da wir manchmal, sagen wir mal, unterschiedliche Vorstellungen haben, wie Dinge zuhause ablaufen sollten. Was ich dabei nicht bedacht hatte: Inzwischen hat er dieses Konzept verstanden und nutzt es, um mich beim Verhandeln um Süßigkeiten regelmäßig argumentativ aufs Glatteis zu führen.
Bei all dem Spaß, den wir miteinander haben, versuche ich, Nico als Papa vor allem Sicherheit zu geben, ihm zu zeigen, dass er geliebt wird, egal was passiert, was kommt und egal welche Person er später entscheidet zu sein. Ich mache mir viele Gedanken und möchte Nico so viel fürs Leben mitgeben, wie ich nur kann. Meistens sind es jedoch die Erlebnisse, die zählen, die kleinen Alltagsmomente, in denen wir voll und ganz präsent beieinander sind. Ich habe mein Leben lang intensive Berufsfelder gewählt und ich bin glücklich, das Privileg zu haben, meinen Beruf auch voll ausfüllen und genießen zu können. Zudem bin ich Chorleiter und Clini-Clown. Ich versuche, alles gut unter den Hut zu bringen, ohne dass es meine Familie belastet, oft gelingt mir dies nur mit einem gut geplanten Zeitmanagement. All diese Tätigkeiten erfüllen mich und doch ist es letzten Endes nur die Zeit mit meiner Familie, die mich wahrhaftig erdet. Ich komme immer mehr drauf, dass vor allem das bewusste Zusammensein mit meiner Familie entscheidend ist und weniger „nur“ die Zeit an sich. Und wieder ist es vor allem Nico, der uns immer wieder aufzeigt, wie man Momente und nicht Zeiträume lebt. Manchmal überlege ich mir, welches Lebensmodell ich ihm vorleben möchte. Ich arbeite Vollzeit und meine Frau Teilzeit.
Ein anderes Modell ist für uns momentan nicht möglich und doch ist es mir wichtig, dass Nico später versteht, dass dies nur ein mögliches Modell des Zusammenlebens von vielen ist und dass das Leben sowie die Menschen selbst sehr divers sind und das gut so ist. Nico kann schon so vieles allein und ich darf selten helfen, muss aber immer unbedingt zusehen. Es ist ein Geschenk. So müde kann ich gar nicht sein, um seine Purzelbäume und seine langen Fantasiegeschichten nicht miterleben zu wollen. Wie ist es mit einem Pflegekind? Ich glaube, viele Teile meines kleinen Berichts würden von den meisten Papas ähnlich beschrieben werden. Ein Kind ist ein Kind. Was zählt, ist die Liebe. Das Leben als Papa wird ab dem Eintritt des neuen Familienmitglieds viel bunter, nicht einfacher, aber farbenfroher. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder ein wunderbares Vorbild sein können und mehr Ehrlichkeit, Offenheit und Menschlichkeit in unser Leben und unser Umfeld bringen – und mehr davon würde uns auch als Gesellschaft wahrscheinlich ganz gut tun …
Autor
Florian Kresser
Vater eines Pflegekindes Geschäftsführer & Vizerektor Stella Vorarlberg – Privathochschule für Musik
Chorleiter, CliniClown